"Mehr als ein Nachruf"


PREDIGT IM STERBEAMT FÜR PROFESSOR KARL BERG
JESUITENKIRCHE TRIER
19. JANUAR 2007


Ein Lied soll uns an die Hand nehmen und uns jetzt begleiten:

"O Heiland, reiß die Himmel auf..."

Der Text dieses Liedes, das werden Sie wissen, stammt von Friedrich Spee.
Es ist wahrscheinlich das bekannteste, jedenfalls aber wohl das typischste Adventslied des deutschen Sprachraumes.
Und dennoch gehört es nicht nur in den Advent.
Spee bezieht sich in seiner Bildersprache auf ein kurzes Gebet des Propheten Jesaja (Jes 45,8):

"Taut, ihr Himmel, von oben /
ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen.
Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, /
sie lasse Gerechtigkeit sprießen. /
Ich, der Herr, will es vollbringen."

Martin Folz hat zu diesem Lied Choralvariationen geschrieben, dafür Strophen ausgewähltund sie ein wenig umgestellt.
Das Gebet des Jesaja und das Lied von Friedrich Spee - beide Dichtungen erzählen von einer großen Hoffnung und noch mehr von einer großen Sehnsucht.

O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf!
Reiß ab von Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

Eine Bitte, die kaum Wort geworden ist.
Eine Bitte, flüsternd gesprochen in eine Zeit der Dunkelheit.
Die Bitte, dass Gott endlich die Tore des Himmels öffnen möge und Rettung komme.
Der verschlossene Himmel.
Der noch oder schon wieder verschlossene Himmel
Eine Zeit des abgebrochenen oder noch nicht eröffneten Gesprächs zwischen Gott und Mensch.

Und die Sehnsucht, dass er doch endlich aufgehe, der verschlossene Himmel.
Gottesferne und Gottessehnsucht.

Beides hatte im Leben von Karl Berg seinen Platz.
Der Krieg, die Verwundung, die mehr war als ein verlorenes Bein.
Er hat oft erzählt von den schlimmen Zeiten des Krieges.
In den letzten Jahren immer häufiger.

Gott und seine Nähe waren ihm nie eine Selbstverständlichkeit.
Gott war ihm immer auch der hinter den Toren des Himmels sich verbergende.

Das Deckengemälde in der Wies-Kirche, in der er viele Jahre hindurch im Sommer Musik gemacht hat, hatte es Karl Berg angetan:
Die Pforte des Himmels: geschlossen.
Entweder irgendwann hindurchgehen können in den Wolkenraum dahinter, in Gottes Wohnungen.
Oder Gott, der - sehr menschlich gesprochen - daraus hervortritt und endgültig und für immer und eindeutig offenbar bei den Menschen ist.

Beides war für Karl Berg eine Sehnsucht.

O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn geh auf; ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.

Karl Berg wusste, wie sehr er Gott brauchte.
Gott machte es ihm nicht leicht.
Und er bedrängte Gott mit seinen Fragen.

Eines war ihm freilich gewiss:
Eine Welt ohne Gott ist Finsternis.

Ein Glaubender wollte er sein.
Gott sehen in seiner Klarheit und Schönheit.
Den "schönen Stern", die "klare Sonn".

Er wollte ihn sehen und vor ihn treten mit den Fragen und mit seinem Suchen,
mit dem er an kein Ende kam.
Alle einfachen Antworten waren ihm ein Gräuel.
Formelhaft erstarrtes Reden und Denken von Gott mochte er nicht.

Gott klar zu sehen - das war eine seiner großen Erwartungen.

O Gott, ein Tau vom Himmel gieß,
im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
Den König über Jakobs Haus.

Ein Wolkenbruch Gottes!
Im "Heiland", in Jesus Christus, hat Gott sich
auf seine Erde und unter die Menschen ergossen.

Das glauben wir als Christen.
Mehr müssen wir von Gott nicht mehr erwarten.
Alles ist da, was wir zum Leben - und zum Sterben brauchen.
Gott wird Mensch und verströmt sich mit seiner ganzen Liebe unter uns.
Und wir dürfen unser Gesicht in den warmen Gottes-Regen halten.

Dass Gott Mensch geworden ist, war Karl Bergs Glaube.
Dass Gott hineingekommen ist in unsere kleine und große menschliche Geschichte.
Deshalb hat ihm die menschliche Mutter Jesu, Maria, diese Frau aus Jakobs Haus, die Tochter Israels, viel bedeutet.
Vielleicht hat er sich ihr bisweilen sogar näher gefühlt als Gott selbst.
Weil sie ihm greifbarer, menschlicher, näher, vertrauter erschien, nicht so weit weg wie der große und immer wieder andere und unnahbare Gott.

Hier leiden wir die größte Not,
vor Augen steht der ewge Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand
Vom Elend zu dem Vaterland.

Das "Elend", das "Elende" - das ist die Fremde.
Immer wieder holt uns diese Fremde ein.
Wir sind hier nicht zu Hause,
nicht angekommen, nicht endgültig bei uns selbst.

Manchmal sind wir uns selbst fremd, "elend",
wissen nicht so recht, wer wir sind.
Staunen und erschrecken über die Abgründe in uns,
sind entsetzt über unsere Fehler und Irrtümer und halten es nicht für möglich. ...

Was haben wir zu erwarten - bei nüchterner Betrachtung unseres Lebens?
Mit seinen Lichtseiten - aber eben auch mit seinen tiefen Schatten.

Dass Gott richtet, hören wir nicht gerne.
Aber was heißt denn "Gottes Gericht"?
Dass alles klar wird, endlich klar.
Dass sich die Rätsel unseres Lebens lösen.
Dass wir endlich wissen, warum wir so und nicht anders sind und gehandelt haben.
Das ist befreiend - und es schmerzt zugleich.

Wenn wir klar sehen, dann dürfen wir vertrauen:
Gott führt uns mit starker Hand aus der Fremde unsers eigenen Ichs in die Klarheit des Lebens in seinem Licht.

Karl Berg galt in den Augen der Menschen, die ihm begegneten als stark, knorrig, eigenwillig. Das war er auch.
Er war auch verletzlich, empfindsam.

Wir dürfen glauben und mit ihm hoffen, dass er Klarheit über sich gewonnen hat.
Dass er sieht - ganz klar sieht, was gut war in seinem Leben - und was Fehler an ihm waren, ja, auch Schuld.
Einfacher ist er wohl nicht zu gehen - der Weg aus dem "Elend zu dem Vaterland".

Wo bleibst du Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal

Mit dieser Strophe kommen wir ins Spiel dieses Liedes.
Mit unserer zaghaften Sehnsucht nach Trost.
Nicht nach einem Trost, der billig ist.
Schnell dahergesagt und schon wieder verflogen, ehe er wirken konnte.
Sondern nach einem Trost, der bleibt - auch über den Tod von Karl Berg hinaus.

Wirklich trösten kann nur der Glaube, dass das Leben stärker ist als der Tod.
Wenn es gesagt wird, klingt das oft abgegriffen, abgenutzt, verbraucht.
Eben doch wie Vertröstung, nicht Trost.
"Wo bleibst du Trost...?"
Aber wir haben keinen anderen Trost als diese alte, tausendmal gesagte und gehörte Botschaft:
Weil Jesus Christus auferstanden ist, ist der Tod besiegt.
Seine - des Todes - alles in Frage stellendeMacht ist ihm genommen.
Gottes Trost für uns hat ein Gesicht und einen Namen.
Das Gesicht und den Namen des Mannes aus Nazaret.

So einfach ist das - und so schwer zu glauben.
Weil es alles Ausgedachte und für möglich Gehaltene übertrifft.

DassKarl Berg diesen Gottes-Trost von Angesicht zu Angesicht sehen möge,
das hoffen wir für ihn.

Dass das, woran er gelitten hat, jetzt heil sei, das hoffen wir für ihn.
Dass sein Mühen seinen Lohn empfange, das hoffen wir für ihn.
Dass er, der Gestorbene, lebe in der ewigen Heimat, das hoffen wir für ihn.

O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf!
Reiß ab von Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.


Trier, 19.01.2007
Dr. Engelbert Felten