„Ich bin kein Caruso, aber ich tu so.“*

Der Wieser Musikherbst 2022, ganz subjektiv.

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Nach dem Besuch verschiedener anderer Veranstaltungsformate der Werkgemeinschaft Musik fahre ich in der letzten Oktoberwoche acht Stunden mit verschiedenen Zügen der Deutschen Bahn (tatsächlich klappt die Anreise zu meiner Überraschung ohne Verspätungen oder andere Komplikationen) erstmalig zum Wieser Musikherbst.

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Nach pünktlicher Ankunft im strömenden Regen gibt es zunächst einige Überraschungen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit gehöre ich (mit inzwischen 69 Jahren) zu den jüngsten Mitgliedern einer Gruppe. (Wie schön eigentlich.)
Dann stellt sich heraus, dass es ein durchaus ambitioniertes Bewegungsprogramm geben, aber dafür deutlich weniger gesungen wird als ich vermutet hatte. Zum Wandern habe ich aber nicht die passenden Schuhe dabei.
Fast alle Teilnehmer:innen scheinen sich bereits lange Jahre zu kennen, aber Organisator Hubert Pfeil stellt in Aussicht, dass sich auch die wenigen Neulinge bald wie „alte Hasen“ fühlen werden. Na, mal sehen …
Hubert ist einer von ganz wenigen Gruppenmitgliedern, denen ich schon einmal begegnet bin. Deshalb die vielleicht bitterste Pille: er wird den Morgenimpuls nicht geben, sondern Prof. Seidl. Dieser wird sich anstrengen müssen, um mich „abzuholen“ …

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Am nächsten Morgen gelingt ihm das aber bereits, u.a. mit dem Motto des Tages „Das Alter ist für mich kein Gefängnis, in das man eingesperrt ist, sondern ein Balkon, von dem man weiter sieht.“ (Marie Luise Kaschnitz) Genau so werde ich das in Zukunft betrachten.

Dann kommt die erste Probe bei Prof. Arno Leicht.

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Im Alt sitzen wir zu siebt. Die anderen Stimmen sind etwas stärker besetzt. Im ersten Schnelldurchlauf der Stücke von Claude Goudimel und Franz Liszt höre ich fast nur den sehr selbstbewussten Bass. Die Noten sehen zwar zunächst gar nicht so schwierig aus, aber bei Liszt viele wechselnde Vorzeichen und erste Anmutungen, wie atonale Musik zukünftig einmal klingen könnte, deuten an, dass wir in der begrenzten Zeit Einiges zu tun haben werden.

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Aber Arno Leicht ermutigt den Chor so freundlich, förderlich und optimistisch, also bin ich das auch. Und ich bin voll guten Willens ab jetzt Arno Leicht´s Credo
„Ich richte mich auf. Ich sing in die Ferne. Ich mach es mit Freude.“ umzusetzen. Ich werde „Töne tragen“* und „Mut zum Ungefähren“* haben.
In der Kammermusik werden die Wünsche der Teilnehmer:innen abgefragt und bei der Planung und Gruppeneinteilung berücksichtigt, so dass jede:r gemäß seinen Möglichkeiten gefordert wird. Spaß und Freude statt Druck und Stress.

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Damit das wie gewohnt sehr umfangreiche, extrem leckere und von außerordentlich liebenswürdigem Küchenpersonal gereichte Essen nicht allzu katastrophale Auswirkungen auf mein Gewicht hat, nehme ich alle Bewegungsangebote mit dem sehr ortskundigen Werner Harbauer trotz unpassendem Schuhwerk gerne an, zumal wir nach dem verregneten Start 5 Tage wunderbares Oktober-Sommerwetter haben. Wem in dieser Allgäuer Landschaft mit satten Wiesen, den Alpen im Hintergrund und gemütlichen Orten unter strahlend blauem Himmel nicht das Herz aufgeht, dem ist irgendwie auch nicht mehr zu helfen.


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Natürlich bin ich auch bei dem täglichen kulturellen Ausflug am Nachmittag dabei. Z.T. sind diese Exkursionen vielleicht ein bisschen weit, aber ich erfahre viel Neues, z.B. wie der Schmalzturm in Landsberg/Lech zu seinem Namen gekommen ist oder wie sich das Haupt- und Landgestüt Schwaiganger um die Besamung von Pferden kümmert.


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Ich wandere um den traumhaft schönen Alpsee und bestaune die umfangreiche Reliquiensammlung im Kloster Polling.

Bei diesen Touren, ebenso wie bei den 1000 Schritten am Morgen und den dauernd wechselnden Tischrunden bei den Mahlzeiten wird wirklich jede:r, der sich auf Kontakt und Gespräch einlässt, innerhalb von 2 Tagen in die Gruppe integriert und mutiert zum „alten Hasen“.


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Wie so oft erweist sich die Generalprobe für den Chor am Samstag als, sagen wir mal, „mittelschön“. Danach gibt es als „Zwischenspiel“ den Herbststrauss mit ganz verschiedenen Beiträgen von professionellen Instrumentalisten und von diesen kaum zu unterscheidenden „Semiprofis“, mit Wortbeiträgen und einem My-Fair-Lady-Potpourri des Chores (auf welches ich ohne Probleme hätte verzichten können …) sowie das großartige Festessen der LVHS.

Der Gottesdienst am Sonntag im Welfenmünster in Steingaden hat mir dann richtig gut gefallen.

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Ich bin überrascht und begeistert, was wir „alten Hasen“ in der kurzen Zeit auf die Beine gestellt haben.

In diesen 6 Tagen habe ich viel mitgenommen, wovon ich bereits spürbar in der ersten Probe „meines“ heimischen Chores profitieren konnte. Wenn das Schicksal es mir erlaubt, kann ich mir eine erneute Teilnahme am Wieser Musikherbst im kommenden Jahr gut vorstellen, und dann habe ich auch die richtigen Schuhe dabei.
„Nach dieser Predigt wird’s erledigt.“*

Verfasserinnen: Gabriele Sturm unter Mitwirkung von Paula Hoppe
Bilder: Rudi Minz


*Die mit * gekennzeichneten Sätze sind Zitate von Prof. Arno Leicht.