Kammermusikkurs in Diez

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Seit Jahrzehnten steht der Kammermusikkurs für Bläser*innen (*) im Veranstaltungskalender der Werkgemeinschaft Musik e.V.  Bisher hat dieser in Altenberg stattgefunden und war dort als beliebte Musikwoche direkt nach den Ostertagen ein fester Begriff innerhalb der Werkgemeinschafts-Familie. Warum nun Diez? Nicht, weil wir mit Traditionen brechen wollen, sondern schlicht und ergreifend, weil das Tagungshaus in Altenberg nach einer Überflutung nicht mehr bewohnbar ist. Corona tat sein Übriges…der Stillstand im kulturellen Bereich hat auch den Kammermusikkurs zwei Jahre auf Eis gelegt. Der Versuch eines Neustarts im vergangenen Jahr gestaltete sich erstmal schwierig. Nun also in 2023 ein neuer Anlauf. Neu sollte auch der Tagungsort sein. Möglichst zentral in der Bundesrepublik gelegen, mit der Möglichkeit, neben dem reinen Wohnen dort auch täglich zu proben und der Anbindung an eine Kirchengemeinde, welche die Bereitschaft mitbringt, zum Abschluss der Woche ein Konzert zu veranstalten. In Diez haben wir genau diese Rahmenbedingungen vorgefunden. Eine kleine idyllische Stadt im Grenzbereich zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen am Ufer Lahn und nur wenige Kilometer entfernt vom Bistum Limburg entfernt. Dazu das besondere Flair einer Jugendherberge, welche in einem ehemaligen Grafenschloss hoch über Diez residiert.
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Die wichtigste Konstante sollte jedoch trotz des Ortswechsels in jedem Fall Bestand haben: Peter Wuttke sollte weiterhin die musikalische Leitung inne haben. Seit 1990 leitet Peter diese Bläserwoche und ein Blick auf die Teilnehmerliste der vergangenen Jahre macht schnell klar, dass viele der Musikerinnen ihm seit etlichen Jahren die Treue halten und sich immer wieder gerne der Herausforderung der Bläser-Kammermusik stellen. Und so finden sich auch in diesem Jahr „alte Bekannte“ ein, die nach drei Jahren der Abstinenz nun ein neues Konzertprogramm unter den wachen Augen und aufmerksamen Ohren von Peter erarbeiten wollen. Ein Konzertprogramm in Kammermusikbesetzung innerhalb einer Woche aufführungsreif zu erarbeiten erfordert natürlich im Vorfeld viel Eigeninitiative. So wird in diesem Kurs ein ganzes Stück an Vorbereitung im Selbststudium den Teilnehmenden abverlangt. Dass dies funktioniert, zeigte die Anspielprobe am ersten Abend: die Noten waren eingeübt und so konnte Peter den zehn vor ihm sitzenden Musikern sein ganzes Vertrauen entgegenbringen, innerhalb der gegebenen Kurs-Zeit am Ende einen kompletten Konzertabend zu gestalten. Schnell lernten wir, dass alleine das technisch saubere Spiel und ein korrektes Intonieren zwar eine sehr gute Basis sind, jedoch die wahre Musik vor allem in der musikalischen Ausgestaltung liegt. Interpretation, musikalische Aussagen treffen, Klangfarben zu wechseln, Flexibilität im Zusammenspiel zu zeigen, einen musikalisch-energetischer Austausch im musikalischen Miteinander zu erleben, all das und vieles mehr kam in dieser Woche in seiner ganzen Vielfalt in den Proben zum Tragen. Selten hat man die Gelegenheit, so tief in die Essenz der Musik einzusteigen. Neben der guten Vorbereitung und dem guten Beherrschen des Instrumentes von jedem einzelnen Spieler benötigt es dafür nämlich vor allem eine musikalische Leitung, die mit viel Empathie und der Balance zwischen fördern, fordern  und zudem mit ganz viel know-how in Sachen Probenmethodik und Spieltechnik die Musiker an ihre Grenzen oder sogar darüber hinaus bringen kann.

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Peter beherrscht dieses Feld perfekt und so durften wir im Laufe der Woche so manchen Aha-Effekt erleben…so zum Beispiel in der anschaulichen Gestaltung der Akkord-Balance: man nehme einen DUR-Akkord und gestaltet die beteiligten Grundtöne, Terzen und Quinten in unterschiedlicher Spielintensität und hat im Ergebnis völlig unterschiedliche Ergebnisse im Klang. Das ist es, was für uns diese Woche ausmacht: Türen in der Welt der Musik zu öffnen, von denen wir nur schwach ahnen können, dass es sie gibt und dabei neue Möglichkeiten zu entdecken. Manches Mal stellten wir dabei demütig fest, dass das musikalische Lernen niemals ein Ende haben wird. Gut so! Deshalb sind wir hier! Jeder Tag brachte uns neue Erkenntnisse, nicht alles lief uns leicht von der Hand und Peter benötigte jede Menge Geduld und immer wieder andere Worte und Methoden, um das gewünschte Ergebnis zu bekommen. Doch wenn der Groschen dann mal gefallen ist, war die Freude spürbar und das Spiel konnte nochmal auf eine neue Stufe gehoben werden. Freiwillig wurde in den freien Zeiten das ein- oder andere Mal noch nachgearbeitet, und sei es nur, um noch mehr Routine bei technisch anspruchsvollen Stellen zu erhalten. Denn wir alle wissen: selbst bei anspruchsvollen Passagen soll sich das Musizieren leicht und unbeschwert anhören. Das macht es für das Publikum aus. Barrieren zwischen Musiker und Zuhörer zu brechen, den Zuhörer in das Reich der unterschiedlichsten Töne und Klänge zu begleiten und ihm somit ein Erlebnis zu schenken, welches er nur live und in Farbe und nur in diesem Moment ganz intensiv gemeinsam mit uns erleben kann. Die Kirche ist direkt an die Jugendherberge angebaut und Pfarrer Ingo Lüderitz erwies sich von der ersten Minute an als ein sehr offenherziger Mensch, welcher uns sein vollstes Vertrauen schenkte und uns seine Kirche zu jeder Zeit zugänglich machte.

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Ebenso spontan entstand so auch die Möglichkeit, am Donnerstagabend das Friedensgebet für die Ukraine musikalisch zu umrahmen. Die Gemeinde war sehr berührt und dankbar von dieser besonderen Gestaltung in diesen schweren Zeiten, in denen anderswo auf der Welt Menschen immer noch in Angst leben und um ihre Heimat und ihr Leben kämpfen müssen. Auch hierfür ist Musik da: ohne Worte Trost zu spenden, Anteil zu nehmen, Hoffnung zu schenken. Ein berührender Abend für uns alle. Am Samstag näherte sich dann der Höhepunkt der Woche: wir konzertieren in der Stiftskirche Diez. Obwohl wir ein in Diez völlig unbekanntes Ensemble sind und auch von uns Teilnehmern neimand Bekannte oder Verwandte in der Nähe hat, welche in das Konzert kommen könnten, mussten wir nicht vor leeren Rängen spielen. Die Diezer schenkten uns Ihre Zeit und Ihre Aufmerksamkeit und hörten sich mit großem Interesse und hoher Aufmerksamkeit unsere erarbeiteten Werke an. Am Ende des Konzertes war ein ehrlicher und anhaltender Applaus der Lohn für unser fleißiges Üben und Studieren. Mit Wehmut sahen wir nach diesem Höhepunkt dem Abschied mit gemischten Gefühlen entgegen. Ein jeder von uns musste sich nun wieder den ganz eigenen Alltags-Herausforderungen jenseits der Musik stellen. Was bleibt ist jedoch das Gefühl, gemeinsam etwas ganz Besonderes erlebt zu haben. Ganz so wie es die Werkgemeinschaft beschreibt: „es entsteht während dieser Woche eine Gemeinschaft, die über diese Woche hinaus wirkt und sich fast wie ein Wunder einstellt zwischen Menschen, die für relativ kurze Zeit zusammen sind“.

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Wir haben fest vor, im kommenden Jahr 2024 wieder in Diez zusammen zu kommen. Wir freuen uns sehr über weitere Interessierte, welche sich dieser intensiven Arbeit der Kammermusik anschließen möchten.

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* Aus Gründen der flüssigeren Lesbarkeit wurde im weiteren Verlauf auf die Nennung der jeweils explizit männlichen und weiblichen Form verzichte.

Susanne Häbe